Wann darf mein Hund sterben?

Ich weiß nicht, wie viele Gespräche ich mit Hundebesitzern in den letzten Jahren geführt habe, die mich genau das fragten. Wie erkenne ich den Zeitpunkt, dass alles behandeln nix mehr nützt? Wann muss ich meinen Hund gehen lassen? Eine Frage, die sich jeder irgendwann stellt, der ein Tier besitzt und wie wir alle wissen, werden Hunde nicht so alt wie Menschen, also werden wir deren Tod miterleben. Auch ich brauchte bereits dieses Gespräch, allerdings ging es dabei um ein Pferd und ich hatte meinen Gesprächspartner, der sich meine Gedanken anhörte und bestätigte,  was ich mir so dachte.

Grundsätzlich, um das mal ganz nüchtern zu betrachten, ohne Emotion, aber und überhaupt … der Tod gehört zum Leben dazu. Geburt und Tod liegen ganz, ganz nah beieinander. Wie tragisch man den Tod allerdings sieht, ist Einstellungssache. Die Gesellschaft vermittelt uns von Anfang an, wie schrecklich der Tod doch ist, wie endgültig. Wir haben Angst zu sterben, eigentlich schon Angst zu erkranken. Am liebsten würden wir Menschen ewig leben und unsere Tiere ewig bei uns haben und wenn ein Hund keine 14 oder 15 Jahre alt wird, sondern vielleicht nur 9 oder 10, sucht man hektisch einen Grund, warum der Hund so früh gestorben ist, was man falsch gemacht hat, und, und, und.

Aber denkt ein Tier auch so eklatant schlecht über Tod? Hat ein Tier Angst zu sterben? Will ein Tier unter allen Umständen weiterleben? Oder gibt es vielleicht auch Momente, wo ein Tier lieber ein Ende finden würde?

Ich persönlich glaube, dass ein Tier weder über den Tod nachdenkt und auch keine Angst davor hat. Ganz einfach, es fehlt ihm die Möglichkeit dazu. Ein Tier hat keine Gedanken über Leben und Tod und weiß auch nicht, wie es ist zu sterben. Woher auch? Schreit ein Tier in Todesangst, weil es zum Beispiel einem Beutegreifer zum Opfer gefallen ist, ist das eine natürliche Schutzfunktion des Körpers. Er kämpft. Jetzt könnte man meinen: „Ja Himmel, Tiere wollen ja doch nicht sterben, sonst würden sie nicht ums Überleben kämpfen.“ Nun, wäre dem Tier sein Leben scheißegal, könnte es in den nächstbesten See springen und einfach ersaufen. Allerdings sind Tiere nicht unbedingt selbstmörderisch veranlagt, sondern besitzen einfach Instinkte, die ihm eine Gegenwehr ermöglichen. Ist aber ein Tier todkrank, spürt es das sehrwohl und genau wie alte Menschen, wollen alte oder kranke Tiere oft nicht mehr leben … allerdings hört der gesunde Mensch da nicht mehr hin. Sagt ein alter Menschen: „Ach, wie schön wäre es, wenn ich einfach meine Augen zumachen könnte“, ist das der Wunsch, gehen zu wollen. Aber kaum jemand hört da hin. Man versucht diesem Menschen das Leben zu verschönern, es ihm auszureden, was auch immer, anstatt mal zu hinterfragen, warum sich dieser Mensch mit dem Gedanken des Sterbens beschäftigt und scheinbar keine Angst davor hat.

Unsere Hunde haben diese Gedanken nicht, aber sie wissen, wenn sie nicht mehr können.

Wir Menschen haben die Neigung, unsere Hunde gegen alles und in einem riesigen Ausmaß zu behandeln und am Leben zu erhalten. Hunde in Rollstühlen, Hunde mit ersetzten Gelenken,  Hunde, die schon die soundsovielte Krebsoperation hinter sich haben, und was es eben noch so alles gibt. Die Frage ist halt immer, wem tun wir damit etwas Gutes. Dem Hund oder uns Menschen, die wir nicht loslassen können? Will ein Hund wirklich in einem Rollstuhl rumfahren, weil seine Hinterläufe gelähmt sind, aus welchem Grund jetzt auch immer? Will ein Hund ständig am OP-Tisch liegen und dauerhaft Medikamente erhalten? Will ein Hund wirklich zwei neue Hüftgelenke bekommen, weil die alten einfach hinüber sind?

Hunde können, Gott sei Dank, nicht sprechen, denn ich wage zu wetten, könnte sie es, würden sie uns vielleicht etwas anderes erzählen. Sie können uns nicht sagen, wenn es ihnen schlecht geht und sie können es auch nicht sagen, wenn sie Schmerzen haben. Sie vertragen weit mehr als wir Menschen, sie jammern nicht und lernen sich mit der Situation zu arrangieren. Wenn einem Hund in ein einem Rollstuhl hängt, wird oft behauptet: „Na, schau, wie er herumrennt. Der hat richtig Spaß.“

Ja, äh, was soll er sonst machen? Hunde sind ja keine Trauertüten, die in endlose Depressionen verfallen, wie wir Menschen es fallweise zu tun pflegen, wenn wir die Welt nicht mehr packen. Sie lernen mit der gegenwärtigen Situation zu leben und nehmen sie hin. Ob es aber wirklich für den Hund so lustig ist, die Hinterbeine zuhause über den Boden nachzuschleifen, weil im Haus oder in der Wohnung der Rollstuhl eher hinderlich ist, eine Windel zu tragen, weil sie nicht mehr normal auf Klo gehen können, auch normales Verhalten, wie markieren oder sich belecken, nicht durch durchführen können, wirklich so glücklich sind, wage ich jetzt mal stark zu bezweifeln.

Stellt euch einen Hund mit Epianfällen vor. Ein Epilepsieanfall ist etwas Hässliches und etwas, was dem Hund das Leben zur Hölle machen kann. Hat so ein Hund zwei bis drei Anfälle im Jahr, ist das zwar nicht schön, aber vertretbar, aber es gibt Hunde, die haben zwei, bis drei Anfälle pro Woche und ob das noch vertretbar ist … ich weiß nicht. Niemand kann sagen, wie dreckig sich der Hund wirklich fühlt und wenn jemand behauptet, ein Hund, der mehrere Epianfälle in der Woche hat, würde sich dazwischen total wohl fühlen, lügt sich wohl selbst an. Ein Epianfall ist nichts, was man eben mal wegsteckt und einem Hund das mehrmals in der Woche zuzumuten und zu behaupten, er will ja leben, hat was Grenzwertiges.

Die häufigste Todesursache von Hunden ist eindeutig Krebs. Kommt die Diagnose Krebs, ist das ziemlich niederschmetternd und es gibt Krebssorten, die noch nicht mal ich kenne und ich kenne ziemlich viel. Natürlich wird man eventuell zu einer OP greifen, möglicherweise eine Chemo in Erwägung ziehen. Fragt sich nur auch wieder, ob man dem Hund wirklich etwas Gutes damit tut, denn alle Medikamente und gerade eine Chemo haben starke Nebenwirkungen, die der Hund natürlich spürt. Man hofft auf Heilung. Hat aber ein zwölfjähriger Hund, der eigentlich sein Leben bereits gelebt hat, Krebs, ist die Chance auf Heilung, eher gering. Bringt ihn nicht der Krebst um, besorgt das die Behandlung, da so ein alter Körper das oft gar nicht mehr schafft.

Es gibt noch viele andere Dinge, zuchttechnische Defekte, herbe Behinderungen und Krankheiten, die das Leben so eines Hundes stark beeinträchtigen. Niemand möchte es, aber oft kann man es nicht verhindern. Weder ein Züchter kann verhindern, dass die Hunde, die er gezüchtet hat, irgendwann an irgendwas erkranken und getötet werden müssen, noch jemand anders. Auch Unfälle kann man oft nicht verhindern, weil sie passieren. Nach einem schweren Unfall stellt sich dann wieder die Frage, ob es Sinn macht, einen möglicherweise schwer verletzten Hund auf die Beine zu helfen, oder es zu beenden, da das nachfolgende Leben für den Hund einfach Scheiße wäre.

Persönlich bin ich der Meinung, dass Hunde, die Behelfsmittel brauchen, um normal laufen zu können, die nicht normal pinkeln und scheißen gehen können, die Behelfsmittel zur Futteraufnahme brauchen oder denen man das Futter anders geben muss, als es normal wäre, die so krank sind, dass man eigentlich schon sehen kann, dass dem Hund das Leben keinen Spaß mehr macht, die regelmäßig schwere Medikamente brauchen, wo man nicht weiß, wie der Hund die Nebenwirkungen aufnimmt, die einfach leiden … denen sollten man den Weg über die Regenbogenbrücke erleichtern. So schwer es auch fällt, aber es sind nur die am weinen, die zurückbleiben. Der Hund selbst weint nicht, sondern er ist von seinem Leid befreit. Seine Seele kann wandern, dorthin, wo es keine Schmerzen mehr gibt und wo er mit vielen anderen Seelen über eine Wiese galoppieren kann und Spaß hat. Menschen trauen sehr, sehr stark. Manche mehr, manche weniger und wir sind der Meinung, dass alles zwingend am Leben erhalten werden muss, weil jedes Lebewesen ein Recht auf Leben hat. Was ist aber mit dem Recht auf einen würdigen Tod? Wir Menschen dürfen nicht sterben, selbst wenn wir es noch so wollen. Alte Menschen müssen oft grausam auf ihren Tod warten, obwohl der Körper schon lang ade gesagt hat, bei manchen auch der Geist. Bei unseren Tieren haben wir es in der Hand. Wir können einen Hund gehen lassen. Einzuschlafen und nicht mehr wach zu werden, ist für den Hund nicht grausam. Natürlich sollte man mit sowas nicht leichtfertig umgehen, sondern wirklich darüber nachdenken, aber es gibt viele Hunde, die werden unter Zwang am Leben erhalten. Hunde, die nicht mehr gehen können, die sich anpinkeln, ankacken, kaum noch fressen können, in einem unwürdigen Zustand dahinsiechen, weil deren Besitzer nicht loslassen können. Aber ist das fair? Darf ein Hund nicht in Würde sterben? Haben wir nicht die Pflicht, ihm nicht nur ein tolles Leben zu bieten, sondern auch ein würdevolles Ende, wenn es soweit ist? Man sollte wirklich darüber nachdenken, wie lange man zuschaut, und auch erkennen, dass manchmal das Gehen lassen, die bessere Lösung ist, als das monatelange Behandeln, ohne wirklich erkennbare Besserungen, aber es wird probiert und probiert und probiert. Macht man dem Hund damit wirklich eine Freude?

Zu sterben ist für den Hund nicht schlimm, weil er sich nie Gedanken darüber gemacht hat. Schlimm ist es nur für den Menschen, der danebensteht und ein Halsband in der Hand hält, das seinem verstorbenen Hunde gehört hat. Jeder geht anders damit um, aber in Endeffekt, sollte man an die Würde des Tieres denken und nicht an seine eigenen Wünsche, sein eigenes Ego oder seinen Stolz. Das bringt niemanden weiter.

Vielleicht konnte ich etwas helfen, manches nicht ganz so schlimm zu sehen, beziehungsweise zu erkennen, dass man im Sinne des Hundes gehandelt hat, und allein das ist wichtig. Und wenn der Hund eingeschläfert wird, und man genau aufpasst, wird man merken, wie seine Seele entweicht. Das, was wir verbrennen oder beerdigen, ist nur noch die tote Hülle, die Seele wandert und trifft sich mit all den anderen Seelen, die bereits über die Regenbogenbrücke gegangen sind.

Jeder der ein Tier hat, wie Hund oder Katze, wird irgendwann vor diesem Thema stehen und es durchziehen müssen. Es ist die Einstellung, die dem Ganzen den Schrecken nimmt.